„Die Schwerkraft ist überbewertet man braucht sie nicht, wie man wohl im Weltall sieht.“
Peter Licht kann in seinem „Lied gegen die Schwerkraft“ singen, worauf er Lust hat, denn das ist der Schwerkraft egal. Sie ist wie sie ist. Ob wir sie finden, gut finden, oder nicht. Und wenn Erich Fried über die Liebe schreibt und mit der Zeile schließt: „Es ist was es ist, sagt die Liebe“, kann auch seine Lyrik frei in der Welt so stehen bleiben. „Wir machen uns die Welt widdewidde wie sie uns gefällt“ ist bei Pipi Langstrumpf eine großartige Einladung an die Selbstwirksamkeit und den Konstruktivismus. Doch mit Management-Theorien sollten wir vorsichtig sein. Sehr.
Management-Theorien liegen keinem Naturgesetz zugrunde. Und mit Wahrheitsansprüchen in Wirtschaftshochschulen unterrichtet, erzeugen sie einen wissenschaftlichen Irrtum mit Folgen. Die scheinbar objektive stattdessen hoch wertebeladene und von der menschlichen Unvollkommenheit ausgehende Wirtschaftswissenschaft ruft, befreit vom Sinn für moralische Verantwortung, das hervor, was sie vorgibt, verhindern zu wollen.
„Schlechte Management-Theorien zerstören gute Management-Praktiken“, von Sumantra Ghoshal
Die hier skizzierten Auszüge stammen aus dem Fachartikel “Bad Management Theories Are Destroying Good Management Practices“, by Sumantra Ghoshal, Advanced Institute of Management Research (AIM), UK London Business School © Academy of Management Learning & Education, 2005, Vol. 4, No. 1, 75–91.
Wir – Elisabeth Sechser, Diana Mock, Hans Fischer-Schölch – haben diesen Fachartikel für euch into German übersetzt. Den Link zum gesamten Artikel findet ihr am Ende dieses Beitrags:
Viele der schlimmsten Auswüchse der jüngsten Managementpraktiken haben ihre Wurzeln in einer Zusammenstellung von Konzepten, die in den letzten 30 Jahren von Professoren der Wirtschaftshochschulen entwickelt wurden. Sumantra Ghoshal erläutert in diesem Fachartikel, dass die Prinzipal-Agenten-Theorie, die dem gesamten intellektuellen Konstrukt zur Unterstützung der Shareholder-Value-Maximierung zugrunde liegt, im Grunde wenig Erklärungs- oder Vorhersagekraft hat.
So sind die Beiträge von Mitarbeiter*innen zu Wissen, Fähigkeiten und Unternehmertum in der Regel wichtiger als die Kapitaleinlagen der Aktionär*innen. Wenn also die Wertschöpfung durch die Kombination der Ressourcen von Mitarbeiter*innen und Aktionär*innen erreicht wird, warum sollte die Wertverteilung nur letztere begünstigen? Es gibt keine Grundlage für die Behauptung des Prinzips der Maximierung des Shareholder Value. Es gibt einfach keine stützenden Argumente. Aktionäre tragen das Risiko? Die Wahrheit ist natürlich genau das Gegenteil. Mehr Risiko tragen die Mitarbeiter.
In seinem großen und letzten Fachartikel widmet sich Ghoshal mit einem kritischen Blick den Wirtschaftshochschulen und wie darin verbreitete Theorien und Ideen dazu beigetragen haben, die Managementpraktiken zu stärken, die jetzt so lautstark verurteilt werden. Seine Arbeit ist ein Plädoyer sich der Rolle und Verantwortung als Wirtschaftshochschule bewusst zu werden und mit wissenschaftlichen Irrtümern aufzuräumen.
Ghoshal zeigt auf, dass wenn in Wirtschaftshochschulen behauptet wird, dass Wettbewerb oder Kapitalmärkte unerbittlich in ihren Forderungen sind und dass einzelne Unternehmen und Manager keinen Entscheidungsspielraum haben, sich diese aufgrund der falschen Prämisse des Determinismus von jeglichem Gefühl moralischer oder ethischer Verantwortung ihrer Handlungen befreien.
„Die Hybris des Neids auf die Physik und die Eindämmung der Kosten menschlicher Unvollkommenheiten haben Managementforschung und -Theorien beeinflusst. Unser Pessimismus wurde zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. (…) So wie Kurt Lewin behauptete, dass nichts so praktisch ist wie eine gute Theorie, so ist es auch umgekehrt: Nichts ist so gefährlich, wie eine schlechte.“
Sumantra Ghoshal
Alles liegt am Menschenbild.
Wenn sowohl der gesunde Menschenverstand als auch empirische Beweise das Gegenteil nahelegen, warum dominiert dann das pessimistische Modell des Menschen als rein eigennütziges Wesen immer noch so sehr die Managementtheorien? Die Antwort liegt nicht in der Evidenz, sondern in der Ideologie. Theorien über soziale Phänomene sind ideologisch motiviert und müssen es auch sein.
Wirtschaftswissenschaften sind keine Naturgesetze. Die Sonne verhält sich nicht nach unseren Theorien. Menschen, Organisationen, Märkte schon.
„Eine Theorie der subatomaren Teilchen oder des Universums – ob richtig oder falsch – ändert nichts an den Eigenschaften dieser Teilchen oder des Universums. Im Gegensatz dazu verändert eine Managementtheorie – wenn sie sich durchsetzt – das Verhalten von Managern, die beginnen, nach der Theorie zu handeln. Eine Theorie, die davon ausgeht, dass Menschen sich opportunistisch verhalten können,
und die ihre Schlussfolgerungen für das Management von Menschen auf der Grundlage dieser Annahme zieht, kann zu Managementmaßnahmen führen, die das opportunistische Verhalten von Menschen wahrscheinlich verstärken.“ Ghoshal & Moran
Keine soziale Theorie kann wertfrei sein.
Trotz des Anspruchs, wertfrei zu sein, kann keine soziale Theorie wertfrei sein. Und obwohl keine sozialwissenschaftliche Disziplin einen stärkeren Anspruch auf Objektivität erhebt als die Wirtschaftswissenschaften, ist kein Bereich der Sozialwissenschaften sowohl in seinen Annahmen als auch in seiner Sprache stärker wertebeladen als die Ökonomie.
Sumantra Ghoshal war Professor für strategisches und internationales Management an der London Business School (LBS). Außerdem war er Gründungsdekan der Indian School of Business in Hyderabad, sowie Aufsichtsratsmitglied der Harvard Business School. Sumantra Ghoshal starb unerwartet, nachdem er dieses Manuskript verfasst hatte.
Zum ganzen Fachartikel
“Schlechte Management-Theorien zerstören gute Management-Praktiken“, Sumantra Ghoshal, AOM; 2005, Deutsche Fassung, 2023 Die deutsche Fassung ist mit Zustimmung der Academy of Management in dieser Form frei zugänglich ist. Der Link zum Originalartikel ist in die deutsche Fassung integriert.