Treffen sich ein Wort, ein Interview und ein Meetup. Das Wort will anfangen, denn es hat eine gröbere Identitätskrise. Wieder einmal. Hat´s ja auch nicht leicht, dieses Wort. Oft genutzt, viel gebraucht, überstrapaziert. Alle wollen es haben. Eine schwere Last muss dieses Wort tragen. Jeder macht mit ihm, was er oder sie will. Nutzt es für sich oder gegen etwas.
Es ist das Wort “normal” und es kennt sich gar nicht mehr aus. Eigentlich wollte es ja ein unauffälliges Wort bleiben. Einfach nur da sein, gar nicht groß der Rede wert. Und jetzt? Alle wollen wieder zurück in die Normalität. Und das, obwohl ja zurück nicht mehr geht. Und welche Normalität ist dann die normale? Der wohlhabende Mensch, der nicht mehr auf sein Erspartes zurückgreifen wird müssen? Ist das dann wieder normal oder ist es normal, dass man nun auf Erspartes zurückgreift, wenn man es hat, damit die, die so etwas gar nicht haben können, ein bisschen was vom Staat bekommen? Jemand hat mir die Woche erzählt, er verdient aktuell “unter normal” und meinte damit eigentlich “unter sonst mega-viel”. Andere hatten schon mit dem “normalen Gehalt” kaum Auslangen. Also da ist dann “unter normal” aktuell “noch ärmer”. Wenn wieder Flüge billigst in alle Himmelsrichtungen mehrmals täglich abheben: Ist das dann wieder normal oder war das nicht eher etwas sonderbar und ist weniger fliegen und mehr zahlen oder mit der Bahn fahren oder Videokonferenzen abhalten normaler?
Was versteht denn unsere Erde unter “normal”, könnten wir sie fragen? Und wer fängt die kurzen ratlosen Blicke von Kindern ein, wenn Erwachsene so überzeugt sagen “Sei doch einfach normal”? Wenn Kinder kurz überlegen, was damit wohl gemeint sei und hineinschauen in den leeren Satz, der mehr wie eine Androhung oder Aufforderung zur Anpassung, zum Nicht-Stören klingt anstatt eine Orientierungshilfe zu werden. Wenn Politiker*innen Sätze beginnen mit: Also “unter normalen Umständen”… tja?! Und manch eine merkt gerade, wie viel besser, leistungsstärker es ist, im Home-Office zu arbeiten. Der Wunsch nach vergangener Normalität ist gleich null. Andere wiederum sehnen sich nach Büro-Luft, Kantinen-Duft, Firmenküchen-Getratsche. Endlich wieder normal arbeiten. Und diese normalen Meetings? Fehlen sie wirklich alle? Diese normalen, langatmigen Entscheidungswege, trägen Organisationsprozesse vor der Krise. Sind sie erstrebenswert, also auch das Normal der Zukunft? Auch immer wieder gehört: Zu kontrollieren, zu steuern, das ist eine ganz normale Aufgabe von Managerinnen. Es ist auch angeblich ganz normal, dass das mittlere Management im oder ein Sandwich ist und dass es in Organisationen ein oben und ein unten gibt, ein top-down und bottom-up. u.s.w.u.s.f. Echt? Wirklich? Nein, ich weiß, dass das nicht normal ist. Also nicht im Sinne von passend, zeitgemäß. Normal ist auch nicht üblich und üblich ist nicht immer okay.
Immer wenn jemand sagt: „Das ist doch ganz normal…“ muss man besonders gut zuhören und aufpassen. Entweder entdeckt man darin eine ehrenhafte Tugend oder dahinter eine zurechtgezimmerte Behauptung, die man als allgemein gültig durchsetzen will.
Wer kann also diesem armen Wort „normal“ helfen? Vielleicht ist das Leben jetzt, so mit Mundschutz und ohne Fliegen, mit wohl überlegt und gut distanziert, diese total überraschende, very crazy time “das neue Normal”, „das aktuelle Normal”? Vielleicht ist Normalsein eine Worthülse, in die man alles reinpacken kann, was man so für sich gut findet und brauchen kann. Und wenn dem so ist, dann könnte man diesem Wort helfen, indem man immer immer all das, was in ihm steckt, auch zeigt, bespricht, teilt. Denn dann wird sichtbar, dass das eine Normal und das andere Normal total andere Normale sind. Jedes einzigartig, ein paar ähneln sich, ein paar ganz und gar nicht. Vielleicht löst sich das Wort „normal“ dann sogar auf und wird zu Dialogen, verhandelbaren Sichtarten, bunten Lebensweisen.
Vor 2 Jahren hatte ich keinen normalen, dafür mittelschweren Verkehrsunfall. Meine Tante rief mich nach ein paar Tagen im Spital an und fragte mich: “Und? Bist du schon wieder normal?” Spontan antwortete ich: „Wieso wieder? Und ich hoffe nicht”. Denn mein Wort “normal” sucht noch immer nach dem Daseinszweck und beobachtet dabei mit scharfem Blick, wie andere das Wort für sich erobern. Auch gerade jetzt in einer normalen Pandemiezeit.
Sollte es für Worte mehrere Leben geben, dann möchte “normal” im nächsten Leben vielleicht “Wind” sein. Der bewegt sich und ist frei!
Nun zu einem sehr schönen Interview
Der Bereich der Organisationsentwicklung ist eigentlich sterbenslangweilig.
Voller Mythen und irreführender Narrative.
Viel zu lernen ich noch habe! Es macht große Freude, wenn die eigene Arbeit ein riesengroßes Lernfeld ist, und wenn man gemeinsam mit der Pionierin Silke Hermann und dem Vordenker Niels Pfläging wunderbare, erfrischende und wohltuende Dialoge über den Beta-Kodex und all die tollen Sozialtechnologien von Red42 führen kann. Jedes Mal ein Erlebnis. Ihr soeben erschienenes Buch “Zellstrukturdesign” kommt mit hohem Anspruch daher: Es will nicht weniger, als das Organisationsdesign neu zu erfinden.
Ich habe mich wieder mit dem Autorenduo über Organisationsgestaltung für eine komplexe Welt, über wirksame, menschengerechte Unternehmensführung unterhalten. Dabei kam dieses Interview heraus.
Zellstrukturdesign ist philosophisch, wirtschaftlich, sozial, kompakt, umsetzungsstark, marktorientiert, auf starke Teamarbeit basierend, ernsthaft, erfolgreich, dynamikrobust, erfrischend. Ganz im Sinne brauchbarer, sinnvoller, zeitgemäßer Unternehmensführung. Ganz im Sinne der Menschen in Organisationen. Mehr als ein Buchtipp. Ein Handbuch für Manager, für Unternehmerinnen und alle, die an Organisationsgestaltung echtes Interesse haben.
Es verdoppelt sich nicht nur das Glück, wenn man es teilt. Auch der Beta-Kodex hat enorme Strahlkraft. Ansteckend im guten Sinne. Viel Spaß beim Lesen und Lernen. >>