Glück: Ein hoch aufgeladener Begriff. Wieso streben wir so danach? Ist Glücklich-sein eine Pflicht, ein Erfolgskriterium, ein Ziel, ein Luxus oder immer schon da? Was bedeutet “Glück als öffentliche Angelegenheit”? Ist jede und jeder ihres eigenen Glückes Schmied? Ist genau diese Behauptung das Problem – die Individualisierung eines kollektiven Bestrebens? Oder ist es eine Einladung zu Selbstbestimmung, Selbstwirksamkeit und Entfaltung? Wie ist es mit dem Recht auf Glück und welche Debatten stecken in dem Recht auf das „Unglücklich-Sein“? Die Fragen nach dem Glück zeigen Zusammenhänge auf, die weder entkoppelt von Gesellschaft noch nur im Kollektiv betrachtet werden können und führen uns zu grundlegenden Themen, an denen es sich lohnt dranzubleiben. Eine Annäherung in drei Teilen.
Teil 1 von 3 – Ein paar kritische Aspekte zur Glücksdebatte
Geht es in Unternehmen darum, Mitarbeiter*innen glücklich zu machen, oder darum, beste Bedingungen zu schaffen, damit sich bereits vorhandenes Glück entfalten kann? Hat Glück etwas mit Leistung und Erfolg zu tun? In der oftmals verkürzten Darstellung oder dem Versprechen, dass glückliche Mitarbeiter*innen mehr Leistung und mehr Erfolg bringen, zeigt sich auch eine unterkomplexe Glücksdebatte und wird mitunter ein Menschenbild gefestigt, das nicht seiner Natur entspricht.
Wenn die Sinnaufladung gekoppelt mit einem Glücksversprechen notwendige organisationale und sozioökonomische Veränderungen verhindert.
In ihrem Buch “Faktor Freude. Wie die Wirtschaft Arbeitsgefühle erzeugt“, veranschaulicht die Historikerin Sabine Donauer, wie eine hoch emotionalisierte Logik zur Produktivitätssteigerung in Unternehmen beiträgt. „Das Versprechen: Mehr Leistung für weniger Geld, dafür mehr Freude, mehr Entwicklungschancen und interessante Aufgaben, scheint aufzugeben. Die Produktivität pro Arbeitnehmer*in pro Stunde hat sich seit den 70er Jahren verdoppelt, gleichzeitig stagnieren die Gehälter oder sinken sogar. Unternehmen erwarteten, dass Mitarbeiter*innen, die sich wohlfühlen, ihre Leistung ständig steigern und so zum Unternehmenswachstum beitragen.“
Hier wird Glück und Sinnstiftung dann auch das Mittel zum Zweck. Moderner Talent-Management-Tools befördern weiter die Individualisierung von Selbstverwirklichung und beruflichem Fortkommen. Der einzelne Mensch steht im Mittelpunkt. Sein Glück zu finden, wird mit seiner individuellen Verantwortung dieses zu gestalten gekoppelt. Firmen haben erkannt, dass das Wohlfühl- und Glücksmanagement den Unternehmenserfolg beeinflussen können. „Uns wurden aus der Vergangenheit dysfunktionale Wirtschaftsmodelle und Bewertungsmaßstäbe aufgebürdet, die wiederum zu dysfunktionalen Praktiken geführt haben. Basierend auf einer falschen Vorstellung von der menschlichen Natur, werden Menschen als Verfügungsmasse, als Human Ressource betrachtet” (Riane Eisler). Auf diese wird so beruhigend eingewirkt. Das zahlt in “eine Entschärfung der Arbeiterbewegung ein” (Sabine Donauer). Firmen locken mit: „Hier kann man sinnerfüllend, glücklich arbeiten und sich dabei selbstverwirklichen“. Erforderliche Verbesserungen von Arbeitsbedingungen werden nicht oder nicht im notwendigen Tempo betrieben. Aspekt der echten Teilhabe am unternehmerischen Erfolg sind wenn, dann nur am Horizont sichtbar, die Liebe zum Beruf lohnt sich langfristig nicht, sondern wird zu einem Preis, den man zahlt.
Glück und den eigene Geist schulen
„Das Glück hängt von der Beschaffenheit der eigenen Gedanken ab.” Das wusste nicht nur Marcus Aurelius. Wie wichtig es ist, den eigenen Geist zu schulen, konstruktiv kritische Denkmuster zu stärken, Freude beim Lernen und bei der Korrektur der eigenen Gedanken zu haben, ressourcenstärkend den Blick auf sich in der Welt und auf die Welt zu richten, Aufmerksamkeit und Fokus unserer Gedanken für Resilienzstärkung zu nutzen, weiß nicht nur die Medizin, die Neurowissenschaft, sondern auch die Psychologie, die Pädagogik und die Philosophie. Essentiell dafür ist eine hohe Begegnungsqualität mit sich und mit anderen. Dies zu fördern bedarf einer exzellenten elementaren Bildungs- und Bindungsarbeit, um den besten Auftakt zu ermöglichen. Das ist nichts Neues. Der menschliche und integral-ökonomische Wert dieser Investitionen wird ignoriert, der Fokus ist noch immer auf den Erhalt von dysfunktionalen Wirtschaftsmodellen gerichtet. Auch wenn Wirtschaftswachstum und Glücksentfaltung einander nicht bedingen.
Glück & Gesundheit in Gemeinschaft
Die Psychologin Regina Arant vom Department für Psychologie und Methoden der Jacobs University Bremen und Mitglied der Arbeitsgruppe „Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ schreibt:
„Das subjektive Wohlbefinden hängt auch davon ab, wie stark eine Gemeinschaft ist. Im Kern geht es bei der Gesundheitsförderung um die Lebenszufriedenheit des Menschen. Wir sehen in allen Studien, die wir durchführen: Dort, wo der Zusammenhalt höher ist, sind die Menschen zufriedener und glücklicher. Das subjektive Wohlbefinden hängt also auch davon ab, wie stark eine Gemeinschaft ist. Diese Stärke wird wiederum beeinflusst von wirtschaftlichen Faktoren, von Bildungschancen und dem Grad an sozialer Ungleichheit.“
Glück ist ein soziales Gefühl.
Ariadne von Schirach schreibt: “Die Würde des Menschen ist gegeben, sie kann nicht errungen werden, deswegen ist sie unverlierbar. Eine Zeit, die den Wert eines Menschen mit seiner Leistungskraft gleichsetzt, ist eine würdelose Zeit. Sie ist eine Diskriminierung für all jene, die zur Verwertung noch nicht oder nicht mehr tauglich sind; und damit für uns alle. Wenn der Wert des Lebens irgendwann nur mehr in seiner Verwertbarkeit besteht, dann ist es irgendwann gar nichts mehr wert. (…) Was uns glücklich macht, sind nicht Besitz, nicht Status, nicht Erfolg, sondern das Gefühl, ein sinnvolles Leben zu führen.”
- Wenn man den Menschen für seine Leistung belohnt, leistet er mehr. Sicher? Nicht!
- Wenn man den Menschen glücklicher macht, leistet er gerne mehr. Für wen?
- Wenn man den Menschen “purpose driven” arbeiten lässt, läuft er die Extrameile. Na dann! Findet den purpose! …solange es Nachschub gibt.
Je glücklicher, desto leistungsfähiger? Was kreiert eine Arbeitswelt, die Glück und Leistungsfähigkeitserwartung koppelt? Ist unsere Welt, unsere Wirtschaftswelt, die gepolt ist auf Einzelleistung, Besitz, Status, eine das Glück verlierende?
Wie schaffen wir lebendige Arbeitsorte, die den Menschen gerechter werden, die das Miteinander-füreinander-leisten, das gemeinsame Wertschöpfen störungsfrei ermöglichen, die Leistung von Erwartungen entkoppeln und ein gelungenes (Arbeits-)Leben in den Fokus nehmen?
Wir haben dysfunktionale ökonomische Gesetze dazu eingeladen, sich durchdringend auszubreiten, das Normale zu werden. In allen Sektoren sind sie zu finden. Fachkräftemangel als ein stärkerer Hinweis, dass es so nicht mehr weitergeht. Da hilft auch ein bisschen „agiler“ nicht.
Wie können starke, gesunde ökonomische Gesetze, die auch das Glück umfassen, hier abklatschen und bestehen? Ein großes Vorhaben? Sozialromantik? Naiv? Mein Herz sagt mir: Es ist spätestens jetzt ein guter Zeitpunkt.
“Gemeinschaft bedeutet vor allem eines, nicht zu schweigen. Jeder Mensch ist aufgefordert, sein Bild einer erstrebenswerten Zukunft zu formulieren; laut, sichtbar und auf jede mögliche Weise.” Stephanie Borgert, Komplexitätsforscherin
Ein Ausflug in die Vergangenheit, …oder?
Bei meinen Recherchen zu diesem Glücks-Thema stieß ich auch auf die „Rede vom Glück“. Darin beschreibt die französische Mathematikerin, Physikerin und Philosophin Émilie du Châtelet als eine wichtige Quelle des Glücks die Eigenschaft, von Vorurteilen frei zu sein – also frei sein von ungeprüft übernommenen, haltlosen Meinungen. Sie rät, Vernunft und Verstand zu verwenden, jedoch die Vernunft auf der Suche nach dem Glück nicht über alles zu stellen, sondern Leidenschaften zu haben und der Illusion zu folgen. Illusion sei aus ihrer Sicht keine Täuschung, sondern lässt uns Dinge sehen, wie sie zu unserem Nutzen notwendig sind.
Eine weitere Quelle des Glücks entspringt nach Émilie du Châtelet dem menschlichen Willen, der Entscheidung wie man sein will und was man machen möchte. Sie schreibt, dass die Erfüllung der Leidenschaften eine wichtige Voraussetzung für diese Selbstverwirklichung sein, doch sollten diese stets von der Weisheit beherrscht werden. Als eine schädliche Leidenschaft sieht Émilie du Châtelet den Ehrgeiz, da er die Seele schädige und den Menschen anderen ausliefere. Als eine der größten Quellen des Glücks nennt sie die Liebe zur Wissenschaft, denn diese Liebe nimmt – wie im Vergleich zur Liebesleidenschaft – mit Alter und Krankheit nicht ab, sondern könne sogar wachsen.
Émilie du Châtelet betont als eine Grenze der eigenen Freiheit zu urteilen die Tugend. Unter Tugend versteht sie alles, was zum Glück der Gesellschaft beiträgt und infolgedessen zu dem unsrigen, denn wir sind Mitglieder der Gesellschaft. Es gibt kein Leben außerhalb der Gesellschaft, kein Glück jenseits des Lebens mit anderen.
Émilie du Châtelet verfasste gemeinsam mit Voltaire die Elemente der Philosophie Newtons, übersetzte sie Newtons Philosophiae Naturalis Principia Mathematica und verband Newtons mit Leibniz’ Denken. Überdies forderte sie die Teilhabe von Frauen an allen Menschenrechten. Sie lebte von 1706 bis 1749.
Das Recht auf Unglücklichsein
Die britisch-australische Wissenschaftlerin Sara Ahmed schreibt in ihrem Buch „Das Glücksversprechen“, dass man sich dem Glück auch in den Weg stellen soll, vor allem dort, wo es um Zuschreibungen geht, weil das Glücklich-sein genutzt wird, um soziale Unterdrückung zu rechtfertigen, und dass jenen, die gegen Unterdrückung einstehen, mit Unglücklichsein gedroht wird. Weiters schreibt sie, dass man ein Recht auf Unglücklich sein habe, als Freiheit zum Unglücklichsein, nicht den vorgeschriebenen Weg zu gehen. Ahmed verweist auf die Kritik von der US-amerikanischen Schriftstellerin und Aktivistin Audre Lorde auf die Betonung des positiven Denkens quasi als Pflicht auf die heitere Seite zu schauen – und dass genau diese Technik und auch Manipulation die Ungleichheiten verdeckt, Tabus produziert, weil die Menschen für ihre Lebensumstände selbst verantwortlich gemacht werden und auch suggeriert wird, dass Menschen schuld seien, wenn sie scheitern. Das ist ein sehr moralisierender Diskurs, der bestimmte soziale Normen als Voraussetzung für ein gutes Leben definiert. So betrachtet wäre Glücklich-sein dann eine kollektive Erwartungshaltung und vor allem eine Anpassungsleistung.
Glück als psychische Störung oder warum es konstruktiv ist, nicht immer konstruktiv zu sein.
Nicht alles Positive ist auch wirklich, wirklich positiv und der Optimismus-Hype sowie der Glücksrausch bringen oftmals mehr Gefahren als dass sie Chancen sind. Das erfrischende Buch “Ich möchte lieber nicht – eine Rebellion gegen den Terror des Positiven” von Juliane Marie Schreiber ist eine leidenschaftliches Plädoyer gegen den Happiness-Wahn und für mehr Zufriedenheit im Leben durch den Ausbruch aus dem Überangebot und der ewigen Ablenkung.
Quellen: Sabine Donauer, Faktor Freude: Wie die Wirtschaft Arbeitsgefühle erzeugt **Regina Arant, Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt **Armin Strohmeyr, Große Philosophinnen. Wie ihr Denken die Welt prägte **Juliane Marie Schreiber, Ich möchte lieber nicht: Eine Rebellion gegen den Terror des Positiven **Ariadne von Schirach, Glücksversuche
Teil 2 & 3 – Die Podcast-Doppelfolge
“Glück als öffentliche Angelegenheit – der Versuch einer Annäherung”
Gemeinsam mit meinem Kollegen, dem philosophischen Praktiker Markus Amann versuchen wir in dieser Podcast-Doppelfolge eine Annäherung zum „Glück als öffentliche Angelegenheit“. Wir bringen dabei Begriffe wie Glück, Zufriedenheit, Lust, Leistung, Sinn, Erfolg, Arbeit, Verantwortung, Autorität, Selbstbestimmung, Organisationsgestaltung ins Schwingen und erzeugen viele weitere Fragen.