Holokratie ist ein Organisationsmodell zur Unternehmensgestaltung. Entstanden ist es aus einer Reihe an Experimenten, die der Begründer Brian Robertson in seinem Unternehmen Ternary Software ab 2001 initiierte. Er suchte nach alternativen Wegen, Arbeit zu organisieren und verfeinerte das Vorgehen mit seinen Mitarbeitern immer weiter, bis das detaillierte Modell der Holokratie entstand. Es handelt sich dabei vor allem um eine Weiterentwicklung des soziokratischen Modells mit Einflüssen aus Lean Management und agiler Softwareentwicklung.
Die Entwickler bezeichnen Holokratie als „soziale Technologie“ und die überarbeiteten Versionen werden analog zu Software-Updates nummeriert. Wie auch in anderen soziokratischen Modellen besteht die Grundorganisation der Holokratie aus ineinandergefügten Kreisen, zwischen denen Verbindungen („Links“) zur unternehmensweiten Abstimmung bestehen. Alle Organisationsstrukturen und Abläufe sind in einer umfassenden „Verfassung“ festgehalten. Diese dient als „Handbuch“ oder „Anleitung“ für holokratische Organisationen. Ein prominentes Beispiel für Unternehmen, die Holokratie als Organisationsmodell adaptiert haben, ist der Online-Versandhändler Zappos. Hierzu gibt es eine breite Palette ambivalenter Berichtserstattung, die die Entwicklungen, Herausforderungen und Probleme beleuchtet, die durch die Holokratie-Einführung entstanden sind. Im Vergleich zu anderen Organisationsmodellen handelt es sich bei Holokratie weniger um ein abstraktes Modell, das es zu adaptieren gilt, sondern vielmehr um eine abgeschlossene Gebrauchsanweisung für Organisationen. Die Holokratie-Verfassung bildet ein umfassendes Regelwerk, das weit über den grundlegenden Organisationsaufbau hinausgeht und bis in detaillierte Fragen der operativen Arbeit hineinreicht. Ein Grundelement der Holokratie ist die Aufteilung in Rollen und Kreisen. Verantwortungen, Rechte und Pflichten sind nicht an einzelne Personen, sondern immer an Rollen gebunden. Diese Rollen können von unterschiedlichen Personen (temporär) besetzt werden. Eine Person kann auch verschiedene Rollen in verschiedenen Kreisen übernehmen. Jeder Kreis ist Teil eines größeren Kreises. Der größte Kreis, der alle anderen einschließt, ist der Unternehmenskreis. Jeder Kreis operiert autonom, das heißt, alle Entscheidungsbefugnisse für operative Themen liegen innerhalb eines Kreises. Zur Koordination untereinander wählt jeder Kreis Repräsentanten, die den „Link“ zum jeweils nächsthöheren und -niedrigeren Kreis bilden. Für Themen, für die eine übergreifende strategische Ausrichtung relevant ist, werden Gremien gebildet, die temporär besetzt werden und wiederum bestimmten Regeln folgen. Auch Meetings und Entscheidungsprozesse sind klar geregelt. Die sogenannten „Taktischen Meetings“ folgen einer festen Struktur, in der das operative Tagesgeschäft besprochen wird. Daneben gibt es noch regelmäßige „Governance Meetings“, in denen die Kreis-Struktur nach einem feststehenden Vorgehen angepasst wird. Für Entscheidungen wird ein 6-schrittiger integrativer Entscheidungsprozess genutzt.
Holokratie ist der Versuch, eine Anleitung für eine agile Organisationsstruktur zu schreiben. Dieser Versuch unterliegt jedoch dem gleichen Denkfehler wie die klassische Aufbauorganisation, zu der Holokratie einen Gegenentwurf bilden soll. Beide Modelle basieren auf Regeln, nur eben auf anderen. Und Regeln setzen voraus, dass Wissen über eine bestimmte Wenn-Dann-Beziehung vorhanden ist. Ein dynamisches, komplexes Umfeld zeichnet sich jedoch durch die Abwesenheit dieses Wissens aus. Je weniger vorhersehbar und planbar die äußeren Umstände sind, desto schneller stößt ein auf Regeln basierendes Organisationsmodell an Grenzen. Der Versuch, dennoch ein Regelwerk für den Umgang mit dynamischen, komplexen Anforderungen zu bilden, führt zu einem immer feingliedrigeren Konstrukt, das eine stetige Anpassung erfordert. Schnell verliert man sich in Diskussionen und Überarbeitungen von Regeln, Prozessen und Rollenbeschreibungen. Paradoxerweise birgt Holokratie also das Risiko, eine Organisation in ein neues Regelkorsett zu pressen, das Beschäftigung verursacht und Arbeit behindert, statt sie zu erleichtern. Besonders nachteilig ist die strenge Entkopplung von „konkreten“ Individuen. In dynamischen Märkten kommt es auf Ideen an. Diese haben konkrete Mitarbeiter (also Anna und Jan), nicht irgendwelche abstrakten Rollenträger, gewählte Repräsentanten oder Stellvertreter. Holokratie entzieht der Organisation die Möglichkeit, ihre Kommunikationsnetze auf solche Könner auszurichten. Der natürliche Selbstorganisationsmechanismus wird durch die vielen Regeln also erheblich gestört, sodass die Wertschöpfung häufig auf die Hinterbühne ausweichen muss. Genauso wie auch in tayloristisch geprägten Unternehmen muss also an der formalen Struktur vorbei gearbeitet werden. Dies ist mit großen Nachteilen und Reibungsverlusten verbunden.
Quelle: Verfasst von Larissa & Christiane auf Intrinsify